...und sie waren alle da. Und mit alle meine ich - ALLE! Gefühlte sechs Milliarden Menschen, plus zirka 2,5 Millionen Avatare, inklusive 1,7 Millionen schizophrene Spaltpersönlichkeiten. Die Games.com - ein Event der Superlative. Nach dem Umzug von Leipzig nach Köln wehte ein Wind des Aufbruchs durch die Marketingetagen der Software-Hersteller aller Herren Länder. Sie setzten die Segel und steuerten ihre Schiffe durch die unwegsamen Gewässer im Haifischbecken der Hardcore-Gamer, um im Auge des Orkans ihren Programmcode an den Mann zu bringen.
Mein Auftrag war ein Entertainment-Programm der Sonderklasse auf die Activision-Guitar-DJ-Hero-Bühne zu bringen. Für Stimmung sorgen – das eine oder andere Produkt zu erklären und den Wissensdurst der Besucher stillen. Und ich tat wie befohlen – a call of duty – ich salutierte und stürmte mit einem auf mein Mikrofon aufgesetztes Bajonett auf die Bühne.
Da waren sie nun, die Soldaten der Neuzeit – die Konsolen-Krieger, die Tastatur-Titanen – sie bahnten sich ihren Weg durch den Präsentations-Dschungel und bekämpften die nahende Dehydrierung mit "Energy-Drinks für 69 Cent" in 1,5-Liter-Flaschen von Lidl – pures Gift. Sie verschanzten sich am WOW- oder am Diablo Stand – nahmen wie gut ausgebildete Scharfschützen die Wartezeit von bis zu 4,5 Stunden in kauf, nur um kurz zu spielen oder – noch viel absurder – jemandem beim spielen ZUZUSCHAUEN!
Ich sah kleine Zelda-„Links“ und stämmige russische Kugelstoßerinnen als Snake aus Metal Gear Solid – ich sah alt und jung – groß und klein – und alle hatten diesen Jagdinstinkt. Ihre Augen glanzlose, stumpfe, milchglasartige Schulhofmurmeln, die ihre besten Tage bereits hinter sich hatten. Haut, so schwammig und blass, als hätten sich der Marshmellowmann einer Tofu-Hauttransplantation unterzogen. Hände wie Greifwerkzeuge urzeitlicher Krustentiere – immer bereit zuzuschnappen. Augenringe von Köln bis Mordor, so unergründlich wie die Ringe des Saturns – tiefhängende Säcke, die eine wunderbare Reminiszenz an Horst „Derrick“ Tappert waren und zu guter Letzt – alle besaßen den Wortschatz eines Cro-Magnon.
„T-Shirt?“ – „Tüte?“ „haben wollen!“ - wären sie Pantoffeltiere, man würde sie bestaunen, man würde sie feiern – sezieren und untersuchen. Man würde sie auf den Thron der Evolution heben, aber es handelt sich hierbei nicht um die Kontaktaufnahme von Einzellern mit der menschlichen Spezies, es ist die Krone der Schöpfung selbst, die das Wort ergreift. Es sind die Wortbrocken ganz normaler, 14jähriger Pisastudien-Beweise – atmende Zweibeiner, ausgestattet mit einem mutierten Gamer-Daumen und einem rudimentären Sprachzentrum. Sie kamen allein oder mit Freunden oder allein mit Freunden. Manche waren angezogen wie Fabelwesen, andere schwebten schier, wie androgyne Wesen zirka zwei Zentimeter über dem Boden – trugen bunte Kontaktlinsen und Perücken. Willkommen im Wunderwald.
Mein erster Tag vor Ort war der Presse- und Händlertag. An diesem Tag kommt kein Consumer in die Halle, sondern nur die, die sich aus „rein“ geschäftlichen Gründen informieren wollen. Dieser Tag ist eigentlich immer ein wenig langweilig, weil sich die Händler von Termin zu Termin schieben ohne ein bisschen für MEINE Unterhaltung zu sorgen. Tristesse. Natürlich wird trotzdem von uns erwartet, volle Leistung zu bringen. Ich fühlte mich wie im alten Rom zur Sommerferienzeit – Brot und Spiele für das Volk, ruhig mal ein paar zerlegte Gladiatoren, aber das Kolosseum ist GÄHNEND leer – also das Volk fehlt. Keiner wollte stehen bleiben. Niemand wollte partizipieren. Eigentlich sind sie ja selber Fans, aber im Gegensatz zu den Besuchern am nächsten Tag, wollten diese hier es nicht zeigen. Das Ende des Tage glich seinem Anfang und seinem Mittelteil – es war wie Sex ohne Orgasmus – nicht schlecht – aber anstrengend und im Endeffekt unbefriedigend.
Tag Zwei. Macht hoch die Tür, die Tore macht weit ... die Barbaren standen vor den Toren und belagerten uns. Im Einzelhandel nennt man so was RUN, im Krieg würde man sagen: „Die haben uns einfach überrannt!“ Wir verbarrikadierten den Backstagebereich und flüchteten auf die Bühne. Hier standen sie, wie von einem Bannzauber gehalten – Zombie-esk – nur eine Armlänge entfernt und bereit, unseren gesamten Vorrat an Promotion-T-Shirts mitzunehmen. Entschlossenheit in ihren Blicken – der Wille zu gewinnen in ihren Augen, aber leider auch ein Mangel an Kraft in ihren Muskeln durch das viele rumsitzen vor ihren Konsolen. Sie schreien. Sie betteln. Sie versuchen zu bitten. Lautmalerei.
Heute erwarteten wir gleich zweimal hohen Besuch. Der Erste war Kool Savas – der Rapper aus Berlin mit dem kleinen Wohlstandsbäuchlein und dem unverwechselbaren – hier – Dingenskirchen. Der nächste Besuch war dann auch gleich Kontrastprogramm. Die fantastischen Vier. Also hier nur zu zweit – bzw. wenn man den Bären – ihren Manager dazu rechnet, dann zu dritt. Alle zack auf die Bühne. Im Backstage vorher viele viele Interviews gegeben und dann an die Konsole. Dafür hat sie Activision hergekarrt. Traumhaft! Sie waren dann kaum wegzukriegen die Jungs. Der Bär stand wie ein – äh – Holzbär – relativ steif – ein Steifbär – an der Gitarre oder am Bass – keine Ahnung. Der Thomas freute sich tierisch. Der Smudo saß am Schlagzeug und konzentrierte sich, Denkfalten zerfurchten seine Stirn. Das Publikum schaute gebannt zu. Wir warfen Shirts und dankten Gott für das Ende des Messetages.
Tag Drei. Halber Murmeltiertag. Ich glaube Activision hat eine komplette Baumwollplantage zu Promo-Shirts verarbeiten lassen. Die Sonnenbrillen im 80ziger-Jahre-Look kommen bei den Kids super an – sie waren ja auch nicht dabei – bei den 80zigern – meine ich. Wir machten Spiele mit den Menschen: "Schreit dies – sagt das und alle machen mit." Pavlov hätte seine Freude daran gehabt.
Nächster großer Prominenter – Tony Hawk – ja, DER Tony Hawk. Er kam, um sein neues Spiel vorzustellen. Interessanter war der dazugehörige Controller. Ein Skateboard OHNE Rollen. Wahnsinniges Ding! Blitzlichtgewitter – Fragen an Tony – Antworten von Tony – kurzes Spiel gegen einen Besucher und ZACK – weg war er. Tat gar nicht weh. Ist ein netter – der Hawk. By the Way – er hat noch eine Hammer-Nummer in der Halfpipe abgezogen. Dann: Aufruhr im Vogelpark – ne, missverständlich ausgedrückt – nochmal – jetzt Aufruhr wie auf einer Vogelfarm, wenn der Fuchs zu Besuch kommt. Teilnehmerinnen der Germany next Topmodels sollen zu uns auf die Bühne kommen. Hui! Dann kamen Larissa, Sarina, Maria und Ira - frenetischer Applaus. Gefühlte 2 Millionen Handy-Cams umschwärmten sie wie Vögel – hier wiederum hätte Hitchcock seine Freude gehabt. Auch sie mussten ran an die Konsole. Performance-mässig lag Larissa weit vorn. Sie warf sich auf den Boden, verzog das Gesicht und guckte rockig. Kurzer Talk auf der Bühne. Längerer Talk hinter der Bühne. Sarina ist genauso wie im Fernsehen. Ich find's süss. Larissa guckt gerne in den Spiegel – komischerweise nicht nur in unbeobachteten Momenten. Wenn sie zwischendurch vergisst, welche Rolle sie in der Staffel hatte, dann ist sie lustig. Maria ist gaaaaaaaaaanz gechillt – Ira ist bodenständig. Ira und ich sind jetzt Facebook-Freunde.
Tag 4. Lagerkoller. Gefangen in einer Zeitschleife. Zwischen Standparties und dem Wissen, am nächsten Tag wieder voll da sein zu müssen. Meine Stimme klang bereits wie das letzte Röcheln eines alten Blasebalgs. War noch vor zwei Tagen alles neu und interessant, so ist es jetzt einfach – anders – und zwar wie immer. Das ist wie immer McDonalds oder Miracoli. Aua!
Bestandsaufnahme: T-Shirts gingen zur Neige, Brillen waren aus. Publikum immer noch auf Kopfdisco. Auf allen anderen Bühnen passierte seit Tagen das Gleiche – ich bin stolz auf uns. Auch wenn unsere Aktionen immer sinnentleerter geworden sind, wir durchbrechen die „Zurück in die Zukunft“-Situation und sind NEU! Meine Spielerklärungen verloren ganz klar an Enthusiasmus. David Guetta kam und ich hatte keine Ahnung wer das ist, bis ich dann mal ge-you-tubed habe. Ich werde alt. Ich werde unaktuell. Am Ende des Tages war sprechen anstrengend. SEIN war anstrengend.
Fünfter und letzter Tag. Ich war drin. Das ganze Ding hat mich aufgesaugt. Das war meine Realität. Leben um zu arbeiten. Katerstimmung überall. Trauer, dass es vorbei sein wird – um 18 Uhr. Dienst nach Vorschrift. Wir hatten nichts mehr. Keine Shirts, keine Brillen, keine Aufkleber, keine Energie und keine Hoffnung.
Das war Stronghold vor den Toren Kölns. Die Soundeffekte der anderen Stände hämmerten wie die Zwerge in den Minen von Moria eine immergleiche Melodie. Der Wahnsinn kam mit leisen Schritten...und dann...ging es so plötzlich vorbei, wie es angefangen hat: Man reichte sich die Hand, klopfte sich auf die Schulter. Man bekam gesagt, dass das Publikum den Messestand als "besten Stand der Messe" bewertet hatte und man selbst – fühlte sich einfach nur unendlich müde.
Mein Resümee:
Das war eine richtig richtig gute und vor allem lustige Messe. Ich bin nach Hause und hab meine X-Box angeworfen. ICH BIN GENAUSO WIE DIE LEUTE DIE ICH BESCHRIEBEN HABE. Auch wenn es mir fern liegt, mich wie der Protagonist meines Lieblingsgames zu kleiden, so finde ich es super, dass die anderen das machen – und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, wie sich die meisten in einen Anzug quetschen um seriös zu wirken. Kleider machen Leute, und diese Leute machen die Games.com. Inklusive mir versammelt sich da ein Haufen Verrückter, um den Bits und Bytes die Ehre zu erweisen. Mit 36 noch 15 sein – wir bewegen uns zielstrebig auf die Unsterblichkeit zu. Die Games.com ist wie die Welt – manchmal dunkel, manchmal hell. Man sieht wie sich Klischees bewahrheiten und auch, wie Klischees ihre Daseinsberechtigung verlieren. Ich freue mich auf die nächste Games.com. Wir sehen uns!
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