Mittwoch, 1. September 2010

Die Deutsche Bahn - a never ending story

Friedlich ziehen sich die Gleise wie kleine Striche schier endlos bis zum Horizont – als hätte eine freundliche alte Dame zwei Wollknäuels für ihre Katze in Richtung Sonne gerollt. Am Fenster zieht die Landschaft vorbei und immer, wenn man an einem Signal-Mast vorbei rauscht, hat man das Gefühl, dass die Welt ein Daumenkino ist. Das gleichförmige Rumpeln wirkt beruhigend. Die Reise als Urlaub – die Fahrt mit der Bahn als spirituelles Ereignis – den Kopf befreiend – die Laune hebend. Praktikabel, aber dennoch nicht seelenlos. Man sinkt in den watteweichen Sitz, schließt die Augen und lässt die Gedanken treiben. Langsam verlässt man diese Welt, um sich in Morpheus Armen wiegen zu lassen. Hier, abgeschottet in einem Kokon aus Kunststoff und Stahl, ist die Welt eine bessere. Hier gibt es nur gut aussehende, entspannte und freundliche Menschen, deren Lebenssinn darin zu bestehen scheint, nur für mich da zu sein und für meine Bedürfnisse.

DAS ist, was uns das Marketing der Deutschen Bahn versucht in unseren zerebralen Kortex zu implantieren. Die Realität hingegen sieht leider anders aus. Sie ist düster – feindlich und ein wenig spooky wie die verlassene Neverland-Ranch. Die Bahn ist ein Paradies, aus dem Adam und Eva durch einen Tunnel geflohen sind. Jeder, der sich jemals einer Karawane Bahnreisender angeschlossen hat, weiß, dass es notwendig ist, genügend Flüssigkeit mit zu nehmen denn – Deutschland und ganz besonders DIE Deutsche Bahn ist eine Service-Wüste. Jeder Zugbegleiter ist ein Skorpion, jederzeit bereit seinen giftigen Stachel in unsere Körper zu stoßen.
Ich habe von japanischen Zugführern gelesen, die Sepukku begangen haben, weil ihre Züge Verspätung hatten – wenn sich dieses Konzept hier durchgesetzt hätte, dann wären so ziemlich alle Strecken in Deutschland stillgelegt und die Transnet aufgelöst. Vor meinem geistigen Auge seh’ ich mich auf einer tiefer gelegten Draisine mit einem 1-Euro-Jobber als Schaffner schwitzend in den Sonnenuntergang pumpen.
Zugführer und Zugbegleiter waren lange Zeit wirklich ehrbare Berufe. Die Verantwortung der Menschenbeförderung ließ sie mit stolz geschwellter Brust durch die Welt schreiten und sich den Schnurrbart zwirbeln. Die Verbeamtung als schwebenden Gang durch das goldene Tor des Himmels in den Schoß der staatlich abgesicherten Vollversorgung. Sie waren Kapitäne der Neuzeit – Kapitäne des Festlandes. My home is my castle – mein Zug ist mein Phallus. Das Monopol der Bahn war und ist das Lebenselixier ihrer Parallelwelt – ein – so wirkt es auf jeden Bahnkunden – rechtsfreier Raum. Hier sind sie Charles „Motherfucking“ Bronson – DAS GESETZ und wir sind nur wilde Rothäute die von der Technik des weißen Mannes nichts verstehen.
Das stählerne Ross ist kaum zu bremsen – hin und wieder hält es an, um sich den Magen mit Reisebedürftigen voll zu schlagen – menschlicher Hafer für die Bestie. Wir Menschen haben die Möglichkeit zuzusteigen. Monk oder der Hase aus Alice im Wunderland würden Amok laufen, denn gefühlte 98% aller Bahnen kommen einfach zu spät. Interessant eigentlich, denn in meiner Welt fahren ja Bahnen auf fest installierten Schienen und ich sag mal – spontanes Abbiegen ist da nicht so populär. Ich meine – so viele Verspätungen wie es tagtäglich gibt – so viele Leute können gar nicht vor die Züge springen, ohne dass die BRD bald menschenleer wäre. Auch interessant ist der gerne benutzte Terminus „Böschungsbrand“. Ich sag mal – würde mein Garten kurzzeitig mit Napalm bombardiert werden, dann würde ich auch aufhören den Rasen zu mähen. Aber was macht so ein Böschungsbrand? Welche unglaublichen, sonnenoberflächengleichen Temperaturen entwickelt Gestrüpp, wenn es damit sogar die weiße Schlange stoppen kann? Die Bahn und die Börse passen eigentlich ganz gut zusammen – beide sind nie um eine Ausrede verlegen, mag sich auch noch so hanebüchen sein.
Ich bin kein Pendler. Das macht mich wahrscheinlich zum glücklichsten Menschen der Welt. Ich war temporär Pendler. Für einen Monat durfte ich den Luxus der DB genießen und täglich von Hannover nach Hamburg fahren. Es ist bequem. Es ist entspannter als Auto fahren auf der A7 - ABER MAN IST UNPÜNKTLICH! JEDEN TAG! Was da los?
Erlebnisbericht:
Es ist jetzt schon etliche Jahre her, aber ein Erlebnis veränderte meine Einstellung zur DB von Grund auf. Bis zu dieser Erfahrung war ich ein mehr oder minder verständnisvoller Bahnfahrer, der gerne mal ein Auge zudrückte, wenn es zu – sagen wir – Schwierigkeiten im Bahnverkehr kam. Verspätungen kommentierte ich mit einem Schulterzucken und den Preis für die Fahrt mit einem Lächeln.
Dann fiel die Bahn in Ungnade und zwar so dermaßen, als hätte Eva nicht nur in den Apfel gebissen, sonder als hätte sie alle möglichen Apfel-Variationen beim Kochduell mit der hinterlistigen Fotz-Schlange ausprobiert.
Ich kam von einer Tour. Ich mache Musik und stand etwa vier Wochen so ziemlich jeden Abend auf der Bühne. Für diejenigen, die sich nicht damit auskennen, kann ich sagen, es ist sehr sehr anstrengend. Jeden Tag mindestens zwei Stunden auf der Bühne stehen alles geben – schwitzen – heiser werden – wenig schlafen – wenn schlafen, dann im Bus. Jeden Tag woanders aufwachen und sich neu orientieren. Fakt: Das geht auf die Konstitution und kann einen ganz schön plätten. Touren ist eine schöne Tortur – ein Ausnahmezustand.
Jetzt war also unsere Tour zu Ende und alle anderen fuhren im Bus Richtung Heimat. Unser letztes Konzert spielten wir im wunderschönen Franken und ich beschloss die Bahn zu nehmen, denn ich hatte einen wichtigen Termin mit meiner Plattenfirma in Hamburg und die Bahn stellte die bequemsten und schnellsten Weg da, dorthin zu gelangen. Ich hatte eine Zugreservierung, eine Bahncard und – trotz Müdigkeit – gute Laune. Ich stieg voll gepackt wie ein Maultier zur Goldgräberzeit in den Wagon und setzte mich auf meinen Platz. Der Zug fuhr los – ich schloss die Augen und entspannte mich. Nach etwa 5 Minuten hielt der Zug – dann folgte die Durchsage, der Zug habe einen Schaden – welch Überraschung – und wir müssten in einen bereits bereitgestellten Zug umsteigen. Gesagt getan – ich nahm mein Gepäck und schleppte mich in den anderen Zug. Hier waren allerdings die Platzreservierungen NICHT gültig. Überall saßen Menschen. Auf den Gängen – in den Zwischenräumen der Wagons – einfach überall. Es gab keinen freien Sitzplatz mehr. Meine Laune wurde schlechter. Der einzige Platz, an den ich mich HINSTELLEN konnte, war der Übergang zwischen Bordrestaurant und der leeren Ersten Klasse.
Nach zirka einer halben Stunde klopfte mir jemand auf die Schulter, als ich Gedankenversunken aus dem Türfenster schaute. „Guten Tag, Ihren Fahrschein bitte!“ - Ich stellte meinen Walkman leiser, griff in die Tasche und gab dem Kontrolleur mein Ticket. Danach platzierte den Walkman-Kopfhörer wieder in meinem Ohr und fiel langsam wieder in meine Apathie. Es klopfte erneut auf meiner Schulter. Ich entfernte den Kopfhörer und sagte: „Ja, bitte!?“ – der Schaffner antwortete: „Sie können hier nicht stehen bleiben, Sie haben nur ein Ticket für Klasse 2!“ Ich lächelte, zwinkerte ihm zu und im Zur-Seite-Drehen steckte ich mir den Kopfhörer wieder in mein Ohr. Es klopfte erneut. Ja, Penetranz ist Ausbildungsziel. Ich drehte mich zu ihm – das gleiche Spiel und er wiederholte seine Aufforderung an mich, den STEHPLATZ zu verlassen. Es machte brz, dann zing und dann ein chuurzzzz... für ihn unhörbar riss mein Geduldsfaden. Es war ein schmerzhafter, heller Klang, als würde der Teufelsgeiger persönlich auf einer ungestimmten Stradivari in meinem Gehirn ein Konzert nur für mich spielen – auf einer Seite.
Ich sagte: „Das ist nicht Ihr Ernst, ich STEHE im Gang – mein Zug hatte einen Schaden – hier ist meine Reservierung, die hier in diesem Zug NICHT gültig ist und Sie wollen jetzt, dass ich die nächsten vier Stunden nach Hamburg genau WO verbringe!?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber hier können Sie definitiv nicht bleiben. Sie haben nur einen Fahrschein für die 2.Wagenklasse!“ – Immer, wenn ich das Gefühl habe, mir wird irgendwie kein Respekt entgegengebracht – und ich meine nicht den Respekt der Straße, sondern den einfachen normalen zwischenmenschlichen Respekt –, dann fange ich automatisch an die Leute zu Duzen – also genau die Leute, die sehr viel Wert auf das SIE legen. Außerdem musterte mich dieser komische Mann. Er betrachtete mich von oben bis unten – starrte auf meine Camouflage-Jacke, meine Baggy-Jeans und auf meine Nike-Sneakers. Schaute verächtlich auf den iPod in meiner Hand und seine Blicke ließen mich wissen – er ist der festen Meinung, dass ich hier nichts zu suchen habe. Kleider machen Leute.
Ich mag es nicht, das ins Spiel zu bringen, aber die Klamotten, die ich zu diesem Zeitpunkt an meinem Körper trug und die, die ich zudem noch in meiner Tasche hatte, hatten mindestens den Wert seines halben Monatsgehalts. Ich weiß genau, hätte ich einen Anzug getragen, dann hätte mir der komische Mann einen Platz besorgt oder mich stehen lassen – aber ich trug keinen Anzug. Ich sagte: „Das hier ist nicht die erste Klasse oder die zweite, dass hier ist die dritte Klasse – das hier ist Viehwagon – Stehcafé – das hier ist ein Scheiß-Steh-Platz auf einem Scheiß-Castor-Container! Ich gehe nirgendwo hin! Ich bleibe genau hier stehen – keine Angst, ich gehe nicht weg, aber ich werde jetzt aufhören mit dir zu sprechen! Hol mir den Zugchef!“ Er schaute mich an, machte auf seinem Absatz kehrt und ging. Er blieb nach ca. drei Metern stehen, drehte sich zu mir um und sagte, ich solle ihm folgen. Ich – tat nichts. Als dann der Zugchef kam, drohte dieser mir mit dem Bundesgrenzschutz und allem möglichen – eine zirka 15 minütige Diskussion entbrannte. Am nächsten Bahnhof fand man dann doch einen Platz für mich, aber seit dem – ja, seit dem hab ich ein Problem mit der Bahn.

Ich meine – was ist mit „der Kunde ist König“ und mit Service? Ich habe bezahlt, aber keinen Anspruch auf das Bezahlte. Ich könnte Briefe schreiben an die Bahn und würde entweder eine Entschuldigung und einen Kaffee-Gutschein bekommen oder gar nichts. Die DB ist Gesichtslos – und Charakterlos. Hätte sie einen Charakter, dann wäre es ein schlechter – ein Al Pachino im Auftrag des Teufels Charakter – ein Agent Smith des Systems. Gegen die Bahn antreten ist wie Schattenboxen – man gewinnt nur den Kampf gegen sich selbst. Man lernt – dass es sich nicht lohnt die Hydra der Service-Hölle zu bekämpfen. Sun-Zu würde sagen, dass Aufgabe der logische Weg ist, denn Aufgabe schont die Kräfte und einen Krieg zu kämpfen, den man nicht gewinnen kann, macht keinen Sinn.
Hilflos stehen die Bahnkunden am Rand und schauen zu, wie mit ihnen gemacht wird, was sie nicht wollen. Ich stehe mitten drin – chancenlos etwas zu ändern – Wutadern dick wie Mammutbäume – Augen wie stechende Dartpfeile und angespannte Kieferknochen in der Größe einer Pellkartoffel.
Es sind nicht die Menschen, die ich meine, denn ich habe auch ganz viele wirklich coole und nette Schaffner getroffen, aber das System ist KRANK! So lange es keine Alternative gibt, solange die Bahn ihr Monopol hält und so lange wir auf die Bahn angewiesen sind, so lange wird sich nichts ändern. Die Bahn folgt dem Gesetz unserer Welt – wenn man ein Monopol besitzt, dann kann man einfach machen was man will. Mein Freund und Anwalt sagt immer: „Der Teufel kackt immer auf den dicksten Haufen!“ DAS ist Weisheit! Im Ernst – die Bahn macht Gewinne und erhöht trotzdem die Preise. DAS IST MACHT! Scheiße – Darth-Fucking-Vader und der Scheiß-Imperator hätten bei der Scheiß-Bahn arbeiten können. Beam me up, Scotty! Beam mich durch die Gegend!

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