Freitag, 29. Oktober 2010

Hulk

An manchen Tagen wünsche ich mir, ich hätte eine Überdosis Gammastrahlen abgekriegt. Provokation würde nicht an mir vorbeiziehen oder sich den Weg durch meine Eingeweide fressen, sondern sie würden ein mehr oder minder entspanntes Ventil in einem explosivem Ausbruch finden. Das Blau meiner Augen würde einem Giftgrün weichen und in Sekunden würde mein sonst hervorragend funktionierendes Sprachzentrum nur noch rudimentäre Wortfetzen hervorbringen. Wer einmal den Hulk in Aktion gesehen hat, weiß: Den reizt man nicht.
Als Kind lernt man, dass man seine Gefühle unter Kontrolle haben soll – „ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ ( Wer sagt das eigentlich? Die Jungs, die den Indianer-Genozid gestartet haben?) oder auch gerne mal „das ist doch gar nicht schlimm!“ Wir kriegen also beigebracht, dass das, was wir empfinden, nicht richtig ist und dass andere Menschen viel eher dazu prädestiniert sind zu wissen, was wir fühlen. In dieser Zeit lernen wir auch, dass wenn der Björn einem die Bauklötze wegnimmt, man dem Björn einfach mal ein bis zwei Bauklötze über den Schädel ziehen muss, damit der lernt, dass er das lassen soll. Allerdings gibt es dann Schimpfe von den Eltern. Wir werden erzogen wie die Vulkanier, aber Emotionen haben mehr Factetten als das Auge einer Libelle, und wenn so eine Libelle einen kassiert, da hilft kein Steak – da muss schon die ganze Kuh her. Will sagen – was man da am Anfang kaputt macht, kann man später nicht so einfach reparieren.

Mein Vater mag Charles Bronson. „Ein Mann sieht Rot“,“Das Weiße im Auge“ – da geht es um Selbstjustiz und – so sehe ich das - dem Überwinden der Hilflosigkeit. Da geht es darum, sich nicht alles gefallen zu lassen. Ich merke, ich habe viel von meinem Vater. Die Menschen in der heutigen Leistungsgesellschaft sind es gewohnt, sich unterzuordnen. Man lebt mit der Angst, dass der übergeordnete Vorgesetzte Macht über einen besitzt, dass er unser Schicksal bestimmt. Widerworte und Kritik sind berufliches Harakiri, und grade deshalb ist die „Duck and Cover“-Haltung eine sehr beliebte. So werden Büroangstellte zu Chamäleons, die mit ihrer Umgebung zu verschmelzen scheinen. Die biedersten, steifsten Menschen sind meistens die größten Wendehälse – ein Paradox in sich, denn um seinen Hals zu wenden bedarf es einer gewissen Flexibilität.
Aber zurück zum Hulk, unserem grünen Monster, nicht zu verwechseln mit Herrn Hogan. Wer den Hulk kennt, weiß, dass sein Alterego Bruce Banner ein Mann ist, der sich seiner „Schwäche“, seiner Zerstörungswut bewusst ist. Aus diesem Grund befindet er sich permanent auf der Flucht vor den Leuten, die ihn jagen, die ihn provozieren. Aber eigentlich befindet er sich auf der Flucht vor sich selbst. Er steht nicht zu sich und seinem Potenzial – er geht in die Defensive.
Wenn ich sage, ich wäre gerne manchmal der Hulk, dann meine ich seine Unbeherrschtheit in Kombination mit seiner ungeheuren Kraft. Den Hulk fuckt man nicht ab. Dem Hulk serviert man kein kaltes Essen, dem Hulk kommt man nicht dumm in der E-Plus Hotline, dem Hulk verkauft man keinen schlecht funktionierenden Mobilstick, und man berät ihn auch nicht schlecht. Und warum? Weil der Hulk dann nämlich das Interieur zerlegt, und sollte das scheiß Callcenter im Ruhrgebiet stehen, dann springt er da hin, da drauf, und wenn er richtig mies drauf ist, dann macht er das ganze Ruhrgebiet platt. DESHALB wäre ich manchmal gerne der Hulk. Aber weil ich eben nicht Hulk bin, gucke ich gerne „Stirb langsam 1“ oder „96 Stunden“. Ich selbst muss mich ja den Gegebenheiten anpassen, den gesellschaftlichen sowie meinen körperlichen. Mein Arrangement mit mir selbst sieht folgendermaßen aus: Keine Gewalt, aber auch keinen verbalen Konflikt vermeiden – zum Verbal-Hulk werden sozusagen. Situation sei mein Coach und meine Couch. Klappt ganz gut, aber manchmal, ja, manchmal flüstere ich ganz leise: Bruce Willis, Bruce Banner – ich vermisse euch!