Dienstag, 16. November 2010

Professor Simon Wright

Das Gehirn ist ein wahres Wunderwerk – also, bei den meisten Leuten, die ich kenne zumindest. Allerdings kenne ich so einige Kandidaten, bei denen ist das Gehirn eher eine ABM-Maßnahme für fleißige Trümmerfrauen. Ich kenne Leute, bei denen sollte mal eine auf das Hirn spezialisierte Tine Wittler vorbeischauen, um das Broca-Areal neu zu dekorieren, ein bisschen die Zellen rücken, ein, zwei Synapsen neu verdrahten, vielleicht mal die Scheitellappen neu kämmen und gerne mal Wernickes Bereich durchfegen. Was nämlich so mancher Mensch aus der Cerebral-Cortex-Hüfte schießt, lässt vermuten, er sei der direkte Nachfahre eines präkambrischen Nadelholzes.
Das Gehirn macht uns aus, also eigentlich könnte man uns fast auf das Hirn reduzieren. Gut, so eine Hirnmasse hat keinen geilen Arsch oder tolle Titten (oder statt Arsch Popo) – ist also nicht gerade der Hingucker, und selbst mit Krawatte wirken so zwei Pfund Hirnmasse unappetitlich. Zudem ist es ja so: Vieles, was das Gehirn kann, wären einfach überflüssige Features. Wozu ein Sprachzentrum, wenn man keinen Mund hat, oder wozu eine Hypophyse ohne endokrines System. Das Gehirn ist eine Schaltzentrale, relativ spartanisch eingerichtet, aber dennoch hocheffizient. Es funktioniert 24 Stunden, 363 Tage des Jahres (ausgenommen Silvester und Oktoberfest) – und das durchschnittlich 75 Jahre lang. Das Gehirn ist in Sachen Leistung, Wartung und Tuning der Mercedes Benz unter den Evolutionserfindungen. Wir können also stolz sein, auf unser – ich sag jetzt mal – Lieblingsorgan.
Uns Menschen hat Gott ja – im Normalfall – reichlich beschenkt mit Windungen und grauen Zellen, wobei ich mich des Öfteren frage, ob uns das eigentlich so viel bringt. Wir sehen uns gerne als die Krone der Schöpfung, sind stolz auf unsere Errungenschaften und werden nicht müde, es immer und immer wieder in die Welt zu posaunen – wie ich es ja anfangs bereits getan habe. Doch egal wie sehr wir es uns auch einreden, es abfeiern und demnächst vielleicht sogar einen Feiertag für unser grandioses Gehirn einrichten, unsere Handlungen sind nicht immer von Intelligenz und Logik geprägt. Beispiel Rauchen: Ein Tier würde instinktiv die Zigarette fallen lassen, weil sein Körper ihm durch Würgen und Husten signalisiert – DAS IST NICHT GUT DICH! Der so hoch entwickelte Mensch schafft es dann, per Macht seiner Gedanken alle Firewalls (witzig, ’ne – also wegen Feuer und so …) seines Körpers zu umgehen und denkt sich: noch drei bis vier Züge, dann schmeckt es, wohl wissend, dass Rauchen NICHT gut für ihn ist. Anderes Beispiel: Es gibt Menschen, die hören auf Seehofer oder Sarrazin, obwohl sie wissen, dass so mancher Bereich derer Gehirne offensichtlich an die Inneneinrichtung des Führerbunkers erinnert.
Also, was ist so toll an unserem überlegenen Gehirn? Es macht durchschnittlich zwei Prozent der Körpermasse aus. Es verarbeitet mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Millionen Bits Informationen – oder um in unserer Sprache zu sprechen: es downloaded mit mehrfacher DSL-Geschwindigkeit Informationen und Eindrücke, die wir durch unsere Sinne googlen. Im Gehirn selbst werden dann diese Daten in unser hirneigenes Brainbook geladen (Freunde kommen, Freunde gehen) oder laufen Schleife in unserem BrainTube.
Die Faszination Gehirn – unser tragbares Weltall, unsere portable Tiefsee, unser Wireless-MacBrain – ist, wie man sieht, nicht unbegründet. In den RICHTIGEN Köpfen kann das schon richtig viel. Unterm Strich ist es ein wunderbares Werkzeug, um fantastische Ideen zu entwickeln und unsere Gesellschaft zu bereichern. Was der Einzelne daraus macht, ist eine andere Sache. Bildung und Ausbildung sind die wesentlichen Wege, unser Gehirn zu trainieren und fit zu machen. Damit wir irgendwann nach der Pubertät mehr hinkriegen als Sangria-Tetrapaks aufzuschrauben und einhändig Joints zu drehen. Das Gehirn braucht Input – Futter, aber auch genügend Zeit zum Verarbeiten. Dauerfernsehen ersetzt kein Buch und SMS schreiben kein persönliches Telefonat. Wer sich weiterentwickeln will, sollte nicht wie ein menschlicher Quastenflosser auf der Couch vor sich hinevolutionieren, sondern das Schicksal in seine eigenen Rezeptoren nehmen.