Montag, 7. März 2011

"Good morning Vietnam"

Aus gegebenem Anlass, hier etwas früher als gewohnt, da die Print-Ausgabe des Stadtkind erst seit ca. einer Woche erhältlich ist. Man möge es mir nachsehen, aber diese Leinehertz-Sache...tstststs....aber genug der Vorworte, LOS GEHT'S.......

Es war einmal...
Früher habe ich mit meinem Radio-Kassettenrekorder samstags immer die Charts gehört und die schönsten Lieder aufgenommen. Das ist lange her. Kassetten sind die Quastenflosser der Audiotechnik – irgendwo gibt es noch welche, aber so richtig was anfangen kann keiner was damit. Diese Technik hat sich überlebt und eignet sich nur noch, um sich an „die guten, alten Zeiten“ zu erinnern. An die Vergänglichkeit und an die Zeit, in der man sich nicht alles sofort beschaffen konnte – ich nenne sie mal „die Zeit der Nicht-Sofortigkeit“.
Dann kam die Pubertät – Sturm und Drang, vor allem aber der Wunsch nach Individualität und Selbstbestimmung. Ich wollte entscheiden, was ich esse, tue und höre. Irgendwie war mir die Konformität nicht grade in die Wiege gelegt worden – trugen alle Pullunder, trug ich eine Motorradlederjacke, und jemand mit Lederjacke und Adidas Allround hört keine Charts! Denn was sind die Charts? Die Charts sind ein Spiegel des Massengeschmacks, etwas, worauf sich viele Menschen geeinigt haben, ohne Ecken und Kanten, oftmals auch ohne Leben – etwas, dass viele Menschen konsumieren. Als ich anfing, Rap-Musik zu hören, da gab es das nicht im Radio – bis auf einige wenige Ausnahmen.
In meiner Erinnerung dominierten in den 80er-Jahren die 80er-Jahre-Sounds und in den 90ern auch und jetzt irgendwie immer noch. Um es auf den Punkt zu bringen, das Radioprogramm ist seit 30 Jahren Chris de Burgh, Cindy Lauper und Duran Duran. Visionär kann man das nicht grade nennen. Ein „Radio-aktiver“ Murmeltiertag – nur ohne Bill Murray und ohne Murmeltier. Same same – but different!?
Ich musste also zwangsläufig gegen das Radio sein, denn das Radio war in meinen Augen faschistoid, es war ignorant. Wo waren Paris, Big Daddy Kane oder N.W.A.? Wo waren meine Helden? Man spielte meine Musik nicht mal in homöopathischen Dosen, man verweigerte sich. Ich wünschte mir, damals, es gäbe den „Piratensender Powerplay“ wirklich – Thomas Gottschalk und Mike Krüger 1981. Sie spielten, was kein anderer spielte.
Zurück in die Gegenwart...
Vielleicht liegt meine Aversion gegen das Radio darin, dass ich ein ähnliches „Problem“ wie Public Enemy hatte: „...Radio Suckas never play me!“ Das rappten sie und trafen damit den Nagel auf den Kopf. Warum sollte ich Radio hören, wenn nichts gespielt wurde, was ich hören wollte. Warum gab mir das Radio nichts zu entdecken? Früher gab es Redakteure – meiner Meinung nach bestand eine ihrer Aufgaben darin zu „diggen“ – also zu graben wie ein Goldgräber und Nuggets zu finden. Mittlerweile sind diese Leute Recycler geworden, oder besser: Bewahrer. Bewahrer von ihren quotenabhängigen Jobs mit Wohlstandsbauch und ohne Hunger. Mutlos, langweilig und überflüssig.
Bürgerfunk hatte für mich immer etwas von Audio-B-Movie. Da machen Leute in ihrer Freizeit eine Sendung und spielen ihre Lieblingsmusik – von Bibelpop bis Bauchtanzmusik. Amateur-Amateure, überambitioniert und dabei völlig talentfrei. So dachte ich. Bis ich eines Tages Kontakt mit so einem Bürgerfunk hatte. Freunde hatten eine eigene Sendung bei Radio Flora – man spielte Rap-Musik, und man konnte anrufen und live im Radio rappen. DAS war Subkultur ohne Anspruch auf Massenakzeptanz: „for us – by us“. Unprofessionell, aber dafür voll auf die Fresse. Diese Sendung änderte meine Meinung zu diesem Thema grundlegend. Irgendwann wurde aus „Raider“ „Twix“ und aus Radio Flora Leinehertz.
Bis vor ein paar Wochen konnte ich uneingeschränkt Leinehertz hören und mich freuen. Mal Hamburger Schule, mal lokale Bands wie Tanner oder Sustar – ich hörte das sympathisch gebrochene Deutsch eines Russen, kongolesische Heimatmusik, auch tolle unbekannte orientalische Klänge. DAS nenne ich diggen. Gut, einige sind Amateure – so wie auch ich einer wäre, wenn ich beim Lokalradio eine Sendung machen würde –, aber sie sind Idealisten. Ich glaube, das unterscheidet so einen Sender von den kommerziellen Anstalten.
Doch dann geschah etwas, eine Art 11.September des Bürgerfunks, ein musikalisch terroristischer Anschlag – Leinehertz verwandelte sich. Es war fast wie bei „Face off“ mit Cage und Travolta, die ihre Gesichter tauschen, nur das in unserem Fall Radio Leinehertz nicht getauscht hat, sondern sein Gesicht verlor. Alles, was diesen Sender ausgemacht hatte, verschwand scheinbar über Nacht. Das einzige, was uns blieb, sind die Station IDs, die uns im Sekundentakt daran erinnern, welchen Sender wir grade hören. Die Frage ist doch, warum muss man uns so oft daran erinnern? Vielleicht liegt die Antwort in der Austauschbarkeit des Programms. Es fehlt die geliebte Individualität. Leinehertz hören heißt in diesen Tagen, eine nordkoreanische Militärparade hören – Gleichschaltung und Konformität. Und ihr wisst, was ich von Konformität halte! Fight for your right!

P.S.: Ich hatte noch diesen tollen Satz, der leider nicht in die Kolumne passte: „Video killed the radio star“ – Quote killed mutige Redaktion, und Internet killed it all!